Mathematik

 

Der Mathematikunterricht fängt in der Waldorfschule schon ganz, ganz früh an – meistens am ersten Tag bei der Einschulung – mit der Krummen und der Geraden. Jede Schülerin, jeder Schüler darf eine senkrechte Gerade und daneben eine gekrümmte Linie zeichnen. Diese beiden Formen bilden die Grundlage für das Formenzeichnen, ein Fach, welches wir nur in der Waldorferziehung kennen. Es ist ein Vorläufer der Geometrie.

Bis zur vierten Klasse wird das Rechnen im Hauptunterricht von der/dem KlassenlehrerIn in Epochen unterrichtet. Angefangen mit der bildlichen Einführung der Zahlen, z.B. von der allumfassenden Einheit, der EINS, die ZWEI hat etwas mit Ich und Du, Links und Rechts, Oben und Unten, Schwarz und Weiß usw. zu tun. Die vier Grundrechenarten werden nicht als abstrakte Zeichen eingeführt, sondern als nette Freunde; zum Beispiel ist da der Graf Plus, er liebt es, mehr und mehr in seine Taschen zu stecken und zu sammeln, während der arme Baron Minus ein Loch in seinem Rucksack hat. So wird auch die Multiplikation und das Teilen vorgestellt. Viel Wert legen wir beim Rechenunterricht darauf, dass man vom Ganzen zum Einzelnen geht, zum Beispiel wird 10 als 7 + 3 oder 8 + 2, später als 14 - 4 oder 23 - 13 dargestellt, anstatt in der sonst eher üblichen Form 3 + 4 = 7. Auf diesem Wege steht jede Zahl als solche da und nicht als Ergebnis einer Rechnung.

Mit dem Bruchrechnen fangen wir schon in der 4. Klasse an, und wie es eingeführt wird ist recht entscheidend. Viele KlassenlehrerInnen bringen einen ganzen Kuchen zur ersten Bruchrechenstunde mit. Ein ganzer Kuchen, ein halber Kuchen... derartige Bilder begleiten die Kinder und helfen ihnen praktisch zu sehen, wenn das Abstrakte überhand nimmt.

In der fünften Klasse wird das Rechnen mit Dezimalbrüchen eingeführt, in der Sechsten wird das Zins- und Prozent-Rechnen gelehrt und auch der Dreisatz. In der siebten und achten Klasse bekommen die negativen Zahlen ihren Raum und schließlich die Algebra.

Spätestens ab der 9. Klasse, d.h. mit Beginn der Oberstufe an Waldorfschulen, wird das Rechnen von einem studierten Mathematiker unterrichtet. In zwei bis drei zusätzlichen wöchentlichen Fachstunden wird nicht nur geübt, sondern auch zusätzliche Themen bearbeitet, zum Beispiel Planimetrie und Stereometrie (also Flächen- und Volumenberechnen) und Gleichungslehre. Die Epochen in der 9. Klasse haben Kegelschnitte und Wahrscheinlichkeitsrechnung als Schwerpunkt. Die Kegelschnitte, also Parabel, Ellipse und Hyperbel, werden in verschiedenen Weisen gezeichnet und studiert. In der zweiten Epoche werden Pascals Dreieck und Fibonaccis Reihe eingeführt, danach Kombinatorik und Wahrscheinlichkeit.

Die 10. Klasse beginnt mit den Potenzen, Wurzeln und Logarithmen. Dann bekommen die SchülerInnen einenTaschenrechner. Es werden Dreiecke analysiert und errechnet, und im Anschluss fahren die Schüler auf das Feldmesspraktikum.

In der 11. Klasse kommt der Mittlere Schulabschluss und es werden die Prüfungsgrundlagen erarbeitet. Das Thema der ersten Epoche ist die Analytische Geometrie in der Ebene. Jenseits der MSA-Prüfung wird das Thema erneut aufgegriffen, aber im Raum, also in drei Dimensionen mit Hilfe von Vektoren. Die oberste unserer Klassen, die 12. Klasse, befasst sich dann in beiden Epochen mit der Analysis: zunächst mit der Differentialrechnung und danach mit der Integralrechnung. Die Schülerinnen und Schüler werden mit sehr abstrakten Rechenarten konfrontiert, z.B. mit dem Ableiten, der Kurvendiskussion und dem Integrieren. – Und hiermit schließt sich dann der Kreis der „Mathematik von 1 bis 12“ an unserer Schule und die SchülerInnen, die ihr Abitur machen möchten sind rundum gut vorbereitet.

 

Feldmessen

In der 10. Klasse fahren wir mit zwei Lehrkräften zu einem Ort, um ihn zu vermessen. Wir machen dieses Praktikum als Anwendung des Mathefaches Trigonometrie. In Gruppen messen die Schüler zuerst mit Kompass und Schrittmaß ein Gebiet, das insgesamt 1 bis 2 km lang und 500 m bis 1 km breit ist. Man erstellt dabei ein grobes Netz: etwa 25 Messpunkte bilden Dreiecke. Genauigkeit ist sehr wichtig: hier erwartet man 180° plus/minus 3° als Dreieckssumme für jedes Dreieck.
Danach kommen die Theodoliten zum Einsatz; sehr genaue Winkelmessgeräte. Jede Gruppe hat etwa 5 Punkte, und für jeden einzelnen braucht man bis zu 3 Stunden, um ihn komplett zu vermessen (wir benutzen wie die Profis beim trainieren Theodoliten mit Teleskopen, keinen Laser!). Eine Strecke pro Gruppengebiet wird mit 5 m-Latten gemessen, sodass mit Hilfe der Sinussatzes, alle Längen gerechnet werden können, nachdem die Winkelsumme pro Dreieck kontrolliert ist (diesmal 180° plus/minus 0.03°).
Anschließend werden die Gegenstände wahrgenommen: Wie weit entfernt sind sie von einer Geraden zwischen zwei Messpunkten? Es entsteht eine Karte, die dann zum Bewundern im Klassenraum, später im Flur, hängt.